Fötsch, Holmberg, Knödler, Oertel, Zeniou
LEAVINGHOMEFUNKTION – UND JETZT: COMINGHOMEFUNKTION
Es scheint erst wenige Tage her zu sein, dass die Künstlergruppe leavinghomefunktion herausgeputzt, auf ihren Ural 650 Gespannen durch die Straßen New Yorks knatterte.
NEW YORK CITY – der Schmelztiegel der Kulturen – war ihr finales Ziel nach einem Wahnsinns – Ritt von mehr als 40 000 Kilometern (auf einem Wahnsinns-Motorrad)!
Bereits vor über 2 Jahren hatten die Künstler Komfortzone und Privatsphäre zurückgelassen und Haarbürste gegen Schraubenschlüssel getauscht. Die Beiwägen wurden zu mobilen Studios transformiert und so ging es auf und davon sich die Welt mit eigenen Augen zu beschauen.
Mithilfe ihrer rollenden Studios schufen die Künstler ein weitreichendes Netzwerk zwischen fern‐ fernöstlicher Abgeschiedenheit und westlicher Entwicklung. Und so war es eine Kombination aus dem Schneckentempo und der unglaublichen Menge an Pannen, die ihnen Tür und Tor sowohl in sehr dicht besiedelten als auch stark isolierten Regionen öffneten.
Erfahrung und Routine zeigten den 5 Gereisten bald: Hat man also eine Panne, lösen sich die meisten Hemmungen und Kommunikationsbarrieren in Wohlgefallen auf. Die Beteiligten – ob einheimisch oder weltreisend – sind fast selbstverständlich an einer gemeinsamen Lösungsfindung interessiert.
Das betreffende Motorrad dicht umringend, arbeiten alle Hand in Hand und sind involviert – Stereotypen greifen hier nicht mehr. Und so scheint allein das Gesamtpaket dieser Ural Motorräder herkömmliche Konventionen und Grenzen zu sprengen.
UND DEMNÄCHST: DAS BUCH
Die Welt auf einer Ural 650 zu umrunden ist natürlich nur die eine Hälfte der Geschichte. Mit der Rückkehr nach Europa hat das Projekt leavinghomefunktion eine ganz neue Dimension angenommen: cominghomefunktion – wie reflektiert man überhaupt das Erlebte und vermittelt es dann entsprechend? Doch nun ist es erst einmal an der Zeit sich niederzulassen, um das Dokumentationsmaterial von mehr als 40 000 Kilometern zu durchforsten und zu verdichten.
Die Gruppe hat sich vor kurzem mit ihrem Verleger Tom Van Endert getroffen, um die nächsten Schritte für das Buchprojekt zur Tour zu planen. Weitere Pläne jenseits des Buches befassen sich mit Projektpräsentationen sowie Film- und Theaterproduktionen.
DIE GANZE GESCHICHTE – KURZGEFASST
Im Herbst 2014 brachen sie aus Deutschland auf. Auf der Suche nach einem Landweg, der die Fünf in Richtung Osten bis in den Westen führen würde. Kompression, Zündzeitpunkt oder Ventilspiel waren bis dato alles Fremdworte im Umgang mit den alten Ural Motorrädern, die ab jetzt als Transportmittel und mobiles Studio dienen sollten. Nach 25 Kilometern gab’s bereits die erste große Panne und nach 5 000 Kilometern das erstes Wintercamp – in Georgien.
Im ständigen Kampf gegen Wind, Wetter und russische Technik überwunden sie Berge aus Bürokratie, um auf abenteuerliche Weise herauszufinden, was Entfernung wirklich bedeutet. Die folgenden 20 000 Kilometer waren die volle Dosis Erfahrung – es ging durch kasachische Gewitter und durch die mongolische Wüste, entlang tausender Kilometer Wellblechpiste – pausenlos gejagt von sibirischen Tigermücken. Dort, wo Sibirien endet und der Ferne Osten Russlands beginnt, stellten sich die Fünf der nächsten großen Herausforderung: Die ‚Old Road of Bones‘. Diese Straße als „unbefahrbar“ zu beschreiben, würde die ganze Sache wohl am treffendsten beschreiben – doch schaut selbst …
300 Kilometer Sumpf, Flüsse und Schlamm später war bereits absehbar, dass die Dinge auf dem Landweg nach New York City zunehmend mühevoller wurden – vor allem weiter nördlich, Richtung Beringstraße, wo die Reise zu Lande final zu Wasser fortgesetzt wurde.
NUN! Nach einer Winterpause in Kanada hatten die Reisenden ihr Ingenieurstalent entdeckt und den schwimmbaren Amphibien-Prototyp der Ural 650 entwickelt. Zudem waren die notwendigen finanziellen Mittel zusammengetragen, um in den Fernen Osten Russlands zurückkehren zu können. Hier wartete der absolute Gipfel dieser Reise: 1 600 Kilometer Flussfahrt auf dem entlegenen Kolyma mit einem Floß, das von den Teufelsmotoren der 650iger Ural Maschinen angetrieben wurde hinauf bis zur Mündung in den Arktischen Ozean. Durch das Tschukotkische Outback ging es anschließend weiter über Kamtschatka auf die andere Seite.
Von Anchorage führte der Weg durch die Weiten Alaskas – bis nach Kanada. Unzählige Pannen waren ein stetiger Begleiter, der ihnen oftmals in Kontakt mit wunderbaren Menschen und atemberaubenden Geschichten brachte. Mit kleineren und größeren Umwegen schließlich auf der Zielgeraden – entlang der Westküste bis nach Los Angeles – trudelten die Weltgereisten am 10.01.2017 um 15:04 Uhr mit Pauken und Trompeten in NEW YORK CITY ein. Gelbe Taxi-Schwärme und das Smartphone-Blitzlichtgewitter ungläubig starrender Fußgänger bereiten einen ungewohnten Empfang und den Auftakt zu einem großartigen Grande Finale.
Halle (Saale), den 30. März 2017